Montag, 15. Oktober 2012

Oktober 2012 - Neuigkeiten aus dem Chodorkowski-Kommunikationszentrum




Newsletter Oktober 2012

„Lieber Michail Chodorkowski, wir stehen hinter Ihnen. Wir bewundern Ihren Mut zutiefst. Sie können sich auf unsere Solidarität verlassen.“
Heinrich-Böll-Stiftung

Chodorkowski: „Ich werde mich nicht am Koordinierungsrat der russischen Opposition beteiligen“
Michail Chodorkowski hat mitgeteilt, dass er auf eine Teilnahme am neu gegründeten Koordinierungsrat der russischen Opposition verzichten werde. Er war zuvor von verschiedenen Personen aufgefordert worden, zu kandidieren.

Chodorkowski dankte allen, die seine Beteiligung am Koordinierungsrat befürwortet hatten. Seine aktuelle Lage – er ist in einem abgelegenen Straflager in der Region Karelien nahe der russisch-finnischen Grenze inhaftiert – würde einer aktiven Mitarbeit in diesem neuen Gremium entgegenstehen.

Den Organisatoren und Kandidaten wünschte Chodorkowski viel Erfolg. Er äußerte die Hoffnung, dass es dem Koordinierungsrat gelingen würde, die Zusammenführung der Zivilgesellschaft weiter zu fördern und sich zu einem wirklich kollegialen Gremium zu entwickeln, das „eine effektive demokratische Alternative zum heutigen, personendominierten Regime“ darstellt.
 


Deutsche Politikerin darf inhaftierten Chodorkowski nicht besuchen
Marieluise Beck, deutsche Politikerin (Bündnis 90/Die Grünen) und Sprecherin für Osteuropapolitik ihrer Partei, war nach Russland gereist, um Chodorkowski zu treffen. Doch ihr Besuch in dem entlegenen Straflager, in dem Chodorkowski inhaftiert ist, wurde abgelehnt.

Besuche bei Chodorkowski sind streng geregelt. Seine Eltern hatten auf ihr Recht auf den nächsten planmäßigen Besuch verzichtet, um das Zusammentreffen ihres Sohnes mit der bekannten Politikerin zu ermöglichen.

Auf Twitter bestätigte Beck, bei ihrem Eintreffen im Lager hätte ihr die Information vorgelegen, dass Chodorkowski das Besuchsrecht seiner Eltern auf sie übertragen hätte. Dennoch wurde der Besuch nicht erlaubt. In der Hoffnung, am nächsten Tag Zugang zu Chodorkowski zu erhalten, übernachtete Beck in der Nähe des Lagers. Schließlich musste sie jedoch unverrichteter Dinge abreisen, ohne ihn zu treffen. Chodorkowski hatte der Lagerleitung den bevorstehenden Besuch von Beck angekündigt. Diese gab der Politikerin gegenüber allerdings an, dass der Gefangene ihnen das nicht mitgeteilt hätte.

Beck unterstützt Chodorkowski bereits seit langem. Während des zweiten Verfahrens gegen Chodorkowski 2009 – 2010 beobachtete sie an mehreren Tagen die Verhandlungen vor dem Moskauer Chamownitscheski-Gerichtshof.



„Ich vermisse das Wort ‚Liebe‘“ – Chodorkowski
In einem Interview für die Serie „Word and Anti-Word“ der Moscow News gab Chodorkowski an, die wichtigsten Worte für ihn persönlich seien „Liebe, Kameradschaft und Freiheit“ sowie „Gott“. In dem Beitrag unterstreicht er die Bedeutung von Liebe und gesteht ein, dass ihm der Ausdruck „Ich liebe“ während seiner Zeit im Lager am meisten fehle. Er höre ihn nur bei seltenen Besuchen von Angehörigen oder während der kurzen erlaubten Telefongespräche.

Die Wörter „Faschist“, „Verräter“ und „Apathie“ stehen für das, was ihn am meisten aufbringt. Die stärkste Abneigung empfindet Chodorkowski gegen den Begriff des Verräters, „eine verabscheuenswerte Kreatur, die einen beschmutzt, wenn man mit ihr in Berührung kommt“.

Chodorkowski thematisiert auch die Sprache der politischen Auseinandersetzung. Die Reden führender russischer Politiker seien häufig mit billigen Formulierungen gespickt. Dabei stünden gerade Politiker, die ein breites Publikum ansprechen, in der Verantwortung, das allgemeine Niveau der politischen Debatte „anzuheben“.

Mit Blick auf die aktuellen Slogans der russischen Protestbewegung führt Chodorkowski außerdem aus, sie wären Ausdruck davon, dass die Gesellschaft zunehmend die Person Putins als Quelle ihrer Unzufriedenheit sieht. Das ist seiner Meinung nach auch richtig. Chodorkowski schlägt jedoch vor, in Slogans, die den Fortschritt Russlands ausdrücken, auch Schlüsselwörter wie „Ehrlichkeit“, „Fairness“, „Erneuerung“ und „Platz machen für junge Menschen“ zu verwenden.



Henry Jackson Society startet White Ribbon Project
Das Russia Studies Centre der Henry Jackson Society hat unter dem Titel „The White Ribbon Project“ eine Videokampagne ins Leben gerufen. Verschiedene Bürger, Oppositionelle und führende Mitglieder der russischen Zivilgesellschaft, darunter der ehemalige Ministerpräsident Michail Kassjanow, sprechen darüber, warum sie sich weiter für Demokratie und Menschenrechte in Russland einsetzen.

Die Henry Jackson Society erklärte: „Egal ob jemand Meinungsfreiheit verlangt oder Korruption und Wahlbetrug an den Pranger stellt – die weiße Schleife hat eine klare, einfache Botschaft: Sie ist Ausdruck der friedlichen Forderung nach Würde, die Menschen dort besitzen, wo sie vor dem Gesetz gleich sind und in wahrhaft demokratischen Strukturen vertreten werden.“



Entwicklungen im Fall

Gericht hebt vorzeitige Haftentlassung von Platon Lebedew auf
Im August hatte sich bei den Unterstützern von Chodorkowski und dessen früherem Geschäftspartner Platon Lebedew vorsichtiger Optimismus eingestellt. Ein Gericht in der Stadt Welsk, in der Lebedew seine Haftstrafe absitzt, hatte entschieden, dass Lebedew im März 2013 freikommen sollte. Damit wäre seine dreizehnjährige Haftstrafe um 3 Jahre und 4 Monate verkürzt worden. Lebedew und Chodorkowski standen seit ihrer Verhaftung 2003 in zwei Verfahren gemeinsam vor Gericht und erhielten die gleichen Urteile und Strafen. Lebedew hatte zu Beginn dieses Jahres eine Verkürzung seiner Haftstrafe beantragt. Man ging davon aus, dass die Behandlung Lebedews als Zeichen dafür gewertet werden könnte, welche Erfolgschancen ein eventueller späterer Antrag Chodorkowskis auf Haftverkürzung hätte.

Die Staatsanwaltschaft legte jedoch Berufung gegen die Entscheidung des Gerichts ein, und am 21. September wurden alle Hoffnungen zunichte gemacht. Das Gericht in Archangelsk kam dem Antrag der Staatsanwaltschaft nach, machte die „extrem milde“ Verkürzung der Haftstrafe Lebedews rückgängig und verwies den Fall zur erneuten Prüfung zurück an die untere Instanz.

In einer Stellungnahme zur Aufhebung der Entscheidung sagt Marina Chodorkowskaja, die Mutter von Chodorkowski, das Urteil sei eine „reine Farce und eine Schande für unser Rechtssystem.“


Moskauer Stadtgericht verschiebt Überprüfung des Urteils gegen Chodorkowski und Lebedew
Am Vorabend der Entscheidung des Gerichtshofs Archangelsk gegen eine vorzeitige Haftentlassung Lebedews berichtete die Nachrichtenagentur Interfax, dass sich die Vorsitzende des Moskauer Stadtgerichts Olga Jegorowa zu Beschwerden der Verteidiger von Chodorkowski und Lebedew geäußert habe. Diese warfen dem Gericht vor, eine Überprüfung des Urteils aus dem Jahre 2010 weiter hinauszuzögern. Am 24. Juli hatte der russische Oberste Gerichtshof eine Überprüfung des Urteils durch das Moskauer Stadtgericht angeordnet. Richterin Jegorowa verwies auf das getrennte Verfahren über die vorzeitige Entlassung Lebedews und teilte mit, dass ihr Gericht die Überprüfung des Urteils gegen Chodorkowski und Lebedew aussetzen würde, bis eine Entscheidung über Lebedews Antrag auf Haftverkürzung rechtskräftig wird.

Die Anwälte von Chodorkowski und Lebedew protestierten gegen diesen unrechtmäßigen Vorwand, mit dem das Moskauer Stadtgericht die Überprüfung des Urteils zum wiederholten Male verzögert – jetzt möglicherweise über Monate –, während ihre Mandanten weiter in Haft bleiben. Die achtjährigen Strafen aus dem ersten Verfahren haben Lebedew und Chodorkowski seit Oktober 2011 abgebüßt. Ihrer andauernden Inhaftierung liegt also die Entscheidung des zweiten Verfahrens zugrunde, die beide zu weiteren 13 Jahren Haft verurteilte. Diese Entscheidung soll aktuell überprüft werden.