Sonntag, 30. September 2012

September 2012 - Neuigkeiten aus dem Chodorkowski-Kommunikationszentrum







Newsletter September 2012


„Trotz aller Anstrengungen konnten sie Ihnen weder Gesicht noch Stimme nehmen.“
Nadeschda Tolokonnikowa, Mitglied der Punkband Pussy Riot, an Michail Chodorkowski

 

Chodorkowski vergleicht Pussy Riot-Verhandlung mit der Inquisition

Viele Augen richteten sich auf Russland, als im vergangenen Monat der Chamowniki-Gerichtshof zum Schauplatz für eine Anklage gegen drei Mitglieder der russischen Punkband Pussy Riot wurde. Vor diesem Gericht hatte von 2009 bis 2010 auch die zweite Verhandlung gegen Michail Chodorkowski stattgefunden. Nun wurden die bekannten feministischen Punks – in den Worten der Financial Times – wegen „Blasphemie gegenüber Putin“ vor Gericht gestellt. Die Anklage bezog sich auf einen kontroversen, minutenlangen Protest in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale im letzten Februar. Im Vorfeld ihrer Verurteilung drückte Chodorkowski seine Sympathie mit den Bandmitgliedern aus und äußerte sein Mitgefühl mit Blick auf deren Untersuchungshaft und vor allem ihren Erfahrungen im Gerichtssaal im sogenannten „Aquarium“ – ein enger Raum aus Glas und Stahl, der für ihn und seinen mitangeklagten Geschäftspartner Platon Lebedew gebaut worden war, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Verwahrung von Chodorkowski in einem Käfig während seiner ersten Verhandlung für unmenschlich, entwürdigend und illegal erklärt hatte.
Chodorkowski rief die Bevölkerung dazu auf, die Frauen zu unterstützen, und beklagte, dass die Staatsmacht „unser Russland mit ihrem völligen Mangel an Gewissen entweiht“. Er wies darauf hin, dass Russland es nicht geschafft habe, einen Rechtsstaat zu etablieren, und erklärte:„Wir sind einer ehrlichen und unabhängigen Gerichtsbarkeit beraubt worden, Uns wurde die Chance genommen, uns selbst zu verteidigen und Menschen vor der Rechtlosigkeit zu schützen. Aber wenn wir diejenigen erkennen, die im Austausch gegen Geld und Privilegien Willkür walten lassen, können wir ihnen und allen um sie herum mitteilen, … warum wir sie nicht respektieren ... und warum wir uns, im Gegenteil, gegen sie stellen werden.“
Mitglieder von Pussy Riot dankten Chodorkowski für seine unterstützenden Worte. Jekaterina Samuzewitsch erklärte: „Ich hoffe, dass unser gemeinsamer Kampf für Meinungsfreiheit von Erfolg gekrönt sein wird und wir uns in einem freieren Land als dem jetzigen wiederfinden werden.”
 

Am selben Tag, an dem das Verfahren gegen Pussy Riot mit Schuldsprüchen und zweijährigen Haftstrafen endete, veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung ein Interview mit Chodorkowski. Mit Blick auf diesen Fall erklärte Chodorkowski: „Es besteht kein Zweifel daran, dass die Weisung von ganz oben kam... für mich wäre alleine ein Freispruch eine faire Entscheidung.“ Chodorkowski merkte an, dass der russische Präsident Wladimir Putin, ebenso wie andere Autokraten, an „Realitätsverlust“ leiden würde.

Menschen im Gefängnis – Die Geschädigten

In seinem jüngsten, von der russischen New Times veröffentlichten Artikel aus dem Gefängnis beschrieb Chodorkowski die Enteigneten in den russischen Gefängnissen: „Im Gefängnis nennt man sie auch die ‚Informellen‘, die ‚Abgestürzten‘ und es gibt noch eine ganze Reihe weiterer, weit weniger schmeichelhafter Bezeichnungen. Sie sind die Kaste der ‚Unberührbaren‘ im Knast, die, mit denen man nicht am gleichen Tisch sitzt, mit denen man nicht das Essgeschirr oder andere Gegenstände teilt usw. Ihre Worte haben keinerlei Gewicht, wenn es zu einer Meinungsverschiedenheit im Knastkollektiv kommt. Mit anderen Worten, sie können auf keinerlei Schutz bauen… Heutzutage verschwinden diese ‚ungeschriebenen Gesetze‘ ganz allmählich, aber noch ist viel davon da. Das Gefängnis ist ein sehr konservativer Ort...Niemand glaubt mehr an Gerichte und jeder kann von sich sagen, dass nur irgendjemandes ganz banale wirtschaftliche Interessen hinter seiner Verurteilung stehen.“

Chodorkowski unterstützt Moskauer Protestführerin Tschirikowa bei Bewerbung um Bürgermeisteramt von Chimki

Chodorkowski unterstützt die Umweltaktivistin Jewgenia Tschirikowa bei ihrer Bewerbung um das Bürgermeisteramt der Stadt Chimki an der Grenze zu Moskau. Tschirikowa wurde in den letzten Jahren als Anführerin einer Bewegung gegen den Bau einer Autobahn durch den geschützten Chimki-Wald bekannt. Außerdem spielte sie bei den Moskauer Protesten nach der Parlamentswahl im Dezember 2011 eine bedeutende Rolle. Chodorkowski erklärte: „Ich glaube, Frau Tschirikowa ist eine mutige und verantwortungsvolle Person. Sie und ihr Team sind bereit und fähig dazu, Chimkis Probleme zu lösen... Ich glaube, in der derzeitigen Situation könnten sich Politiker sowie politische und soziale Gruppierungen, die gegen die aktuelle föderale und lokale Regierung sind, zusammenfinden, um diese Kandidatin zu unterstützen. Dann – und nur dann – kann die Opposition den Wählern zeigen, dass sie die neuen legislativen Möglichkeiten nutzen kann, um effektiv um die Macht zu kämpfen und eine wirkliche Alternative zu bieten…“
Tschirikowa antwortete auf Chodorkowskis Erklärung via Twitter und bedankte sich für seine Unterstützung. Er habe erneut gezeigt, dass er auch aus dem Gefängnis heraus mutig öffentlich Stellung beziehen könne.

Chodorkowskis Sohn zu den Beziehungen zwischen den USA und Russland

Im vergangenen Monat besuchte Pawel Chodorkowski den republikanischen Kongress in den Vereinigten Staaten und nahm bei einer Veranstaltung der Foreign Policy Initiative an einer Diskussionsrunde zur Zukunft der Beziehungen zwischen den USA und Russland teil. Der russische Journalist Wladimir Kara-Murza war ebenfalls anwesend. Er steht als Unterstützer der Magnitsky-Deklaration, die für Sanktionen gegenüber Menschenrechtsverletzern in Form von US-Einreiseverboten und der Einfrierung von Vermögen eintritt, auf dem Index. Von außenpolitischen Beratern des Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney hieß es, eine Regierung unter Romney würde „Moskau auf den schlechten Ruf in Bezug auf Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit ansprechen.”

Entwicklungen im Fall

Beauftragter für Unternehmerrechte organisiert Untersuchung zum Fall Chodorkowski

Boris Titow, der neu ernannte russische Beauftragte für Unternehmerrechte, hatte gesagt, mangelnde Initiative auf Seiten Chodorkowskis sei das einzige, was einer öffentlichen Untersuchung zum Urteil der zweiten Verhandlung Chodorkowskis entgegenstehe. Daraufhin wandte sich Chodorkowski mit einem Gesuch um eine öffentliche Untersuchung an Titow. Chodorkowski verlangte eine Untersuchung zur Feststellung, ob das Urteil sowohl aus rechtlicher als auch aus wirtschaftlicher Sicht gerechtfertigt sei. Das Untersuchungsergebnis solle zu Handlungen führen. Titows Antwort, die Sie hier vollständig einsehen können, definiert die weiteren Schritte auf dem Weg zu einer solchen Untersuchung.
Chodorkowskis zweite Verhandlung war schon einmal Gegenstand einer öffentlichen Untersuchung: 2011 hatte der russische präsidiale Gerichtshof für Menschenrechte das Urteil für illegal und ungültig befunden. Bis heute haben die Behörden die Feststellungen und Ratschläge des Gerichtshofs weitgehend ignoriert. Weitere Informationen finden Sie im Bereich „
Case Reviews“ auf Khodorkovsky.com.

Lebedews Haftstrafe verkürzt. Anklage geht in Berufung

Im August befand der regionale Gerichtshof Archangelsk der Stadt Welsk, in der Platon Lebedew seine Haftstrafe absitzt, dass Lebedew im März 2013 freikommen solle. Damit wäre seine 13-jährige Haftstrafe um 3 Jahre und 4 Monate verkürzt. Lebedew und Chodorkowski standen seit ihrer Verhaftung 2003 in zwei Verfahren gemeinsam vor Gericht und erhielten die gleichen Urteile und Strafen. Lebedew hatte zu Beginn dieses Jahres eine Verkürzung seiner Haftstrafe beantragt. Die Staatsanwaltschaft Welsk hat gegen den Entscheid des Gerichts Berufung eingelegt. Details zur Anfechtung der Haftverkürzung durch die Staatsanwaltschaft finden Sie hier.